BERTRAM CASTELL
UND DAS KÜNSTLERZENTRUM
SCHLOSS PARZ 

 

Bertram Castell, geboren am 12. Juli 1932 in Berlin, aus dem fränkischen Adelsgeschlecht der Castell-Rüdenhausen, hat sein Leben lang neben den verschiedensten Brotberufen als Künstler gearbeitet. 

Zuletzt war er Art- und Kreativ-Direktor bei der internationalen Werbeagentur McCann Erickson, aber seine wahre Berufung blieb immer die Kunst. Als Künstler hat Castell konsequent seinen Weg verfolgt. Er sagt selbst: „Ohne Malerei bin ich nicht.“(1)

In seiner Kindheit verbrachte Castell viel Zeit bei den Großeltern im fränkischen Coburg und auch in ihrem großen Jagdrevier im oberösterreichischen Greinburg an der Donau. In den Schlössern seiner Kindheit gehörten die Kunstwerke an der Wand jedoch vor allem zur Möblage oder dienten der Ahnengalerie. Nicht einmal das Cranach-Zimmer auf Schloss Coburg – Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) hielt sich Anfang des 16. Jahrhunderts dort häufig auf – und die Kupferstichsammlung mit Werken von Martin Schongauer (1450–1491), Albrecht Dürer (1471–1528) und Albrecht Altdorfer (1480–1538) waren so spannend wie ein Besuch im Berliner Atelier seiner Großtante, Alexandra Prinzessin von Schleswig-Holstein-Glücksburg. Dort spielte die Kunst erstmals in seinem Leben eine zentrale Rolle. Tante Ali, wie man die Schwester von Castells Großmutter innerhalb der Familie nannte, war in seiner Erinnerung eine passable Malerin, die impressionistisch-expressive Bilder malte. Später flüchtete sie vor den Nationalsozialisten nach Paris und bereiste Nordafrika im Wohnwagen. Ihr großes Atelier wirkte auf den heranwachsenden Jungen besonders anziehend.

Nach dem Zweiten Weltkrieg – Castell war noch am 15. Januar 1945 als Zwölfjähriger eingezogen worden – sah er in den großen Ausstellungen im Haus der Kunst in München erstmals expressionistische und abstrakte Malerei. Damals wusste er intuitiv, dass er Maler werden wollte. Das Haus der Kunst zeigte von Ende 1946 bis März 1947 Moderne französische Malerei sowie von Juni bis Ende November 1948 Georges Braque, von September bis Oktober 1949 Der Blaue Reiter München und die Kunst des 20. Jahrhunderts und von Mai bis Juni 1950 Die Maler am Bauhaus und damit die europäische Avant-garde, die in der NS-Zeit als „entartet“ diffamiert wurde.

Nach einer Holzbildhauerlehre und vier Jahren beim Grenzschutz ging Castell 1963 nach Wien. Bereits in der ersten Woche lernte er seine spätere Frau kennen, Felicitas Auersperg, geboren am 20. September 1944 in Wien. Sie unterstützte ihn von Anfang an, gab ihm den nötigen Raum als Künstler und bestärkte ihn darin, sich mit seiner Mappe an der Kunstakademie zu bewerben. 1963 wurde Castell vom damaligen Rektor Herbert Boeckl (1894–1966) in die Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz aufgenommen. Boeckl war 1935 zum Professor an der Allgemeinen Malerschule der Wiener Akademie der bildenden Künste ernannt worden. 1939 legte er die Leitung seiner Meisterklasse nieder und übernahm den Abendakt, der für alle Akademiestudenten verpflichtend war. Von 1945 bis 1946 war Boeckl provisorischer Rektor und ab 1962 erneut Rektor der Akademie. Noch während Castells kurzer Studienzeit von 1963 bis 1965 wurde 1964 geheiratet. Bald kamen die beiden Söhne zur Welt, 1965 Dominik und 1967 Michael.

Neben Herbert Boeckl wurde Fritz Wotruba (1907–1975), der gleich nach dem Zweiten Weltkrieg von Boeckl zum Leiter der Meisterklasse für Bildhauerei an die Akademie berufen wurde, für Castell zum prägenden Lehrer. Beide gehören zu den wichtigsten Vertretern der österreichischen Moderne. Durch Boeckls gesundheitlich bedingten baldigen Abgang von der Akademie – er litt an Diabetes und hatte im Oktober 1962 einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte – beendete Castell bereits 1965 sein Studium. Im Jahr darauf, 1966, starb sein Lehrer.

Nach der Akademie jobbte Castell in den verschiedensten Bereichen, darunter auch als Barkellner – er musste seine Familie ernähren. Nach einem WIFI-Kurs zum Dekorateur arbeitete er zum Beispiel für den Kosmetik-Konzern Pierre Robert und fuhr mit einem kleinen Lieferwagen durch Österreich. Landauf, landab dekorierte er die Parfümerien, die die Produkte seines Arbeitgebers vertrieben. Abends, nach getaner Arbeit, fuhr Castell jedoch hinaus in die Natur, suchte sich ein stilles Plätzchen im Wald oder auf einer Wiese und nutzte die Abendstunden zum Zeichnen. Er führte damals stets große Papierblätter im Auto mit sich und begann diese mit dem Kugelschreiber zu bezeichnen. Bevorzugt verwendete er die einfachen BIC-Kugelschreiber statt der teuren Faber-Castell-Produkte seiner Verwandten.

Castell zeichnete, was ihn bewegte, was aus ihm herauskam, ohne dabei auf den Kunstmarkt- oder Galeriebetrieb zu schielen. Und doch traf er mit seinen Kugelschreiberzeichnungen, die in der Stille eines Waldes oder beim Rauschen eines Baches entstanden, zielsicher den Zeitgeist. Die Kompositionen, mit denen er formal wie inhaltlich einen eigenen, unverkennbaren Stil entwickelte, sind durchdrungen vom Lebensgefühl der 1960er- und 1970er-Jahre. Sie waren damals in vielen Ausstellungen zu sehen – Helmut Berger schrieb 1972 beispielsweise anlässlich der Parzer Gruppenausstellung in der Welser Zeitung gleich nach Arnulf Rainers Face Farces über Castells Zeichnungen: „Bertram Castells Graphiken fesseln mit suggestiver Kraft den Blick des Betrachters durch ihre rätselhaft plastische Raumfülle, obwohl sie nur mit dem Kugelschreiber auf Papier durch kreisende Schraffur entstehen.“ (2)  Fast alle Kugelschreiberzeichnungen wurden verkauft und befinden sich heute in den verschiedensten Sammlungen.

Im Anschluss an die Akademiezeit begann Castells rege Ausstellungstätigkeit. Nach der ersten Ausstellung 1966 im IKC in Bad Godesberg bot ihm Elizabeth C. Wong, die Gründerin und Leiterin der TAO-Galerien in Wien und Spoleto, eine frühe Ausstellungsmöglichkeit. Sie zeigte Castell 1968 zusammen mit Theo Braun (1922—2006) und Hildegard Joos (1909 bis 2005), der Grande Dame der abstrakten Malerei in Österreich. Braun, mit dem Castell später auch in Parz mehrmals ausstellte, war von 1946 bis 1967 Assistent und Dozent an der Technischen Hochschule in Wien. Weitere Ausstellungsmöglichkeiten ergaben sich 1970 in der Guldengalerie in Wels, im Forum Stadtpark Graz und in der großen Gemeinschaftsausstellung des Oberösterreichischen Kunstvereins mit der Salzkammergut-Künstlergilde Junge Künstler. Junge Kunst in der Kammerhofgalerie Gmunden, wo Castell mit vier Arbeiten vertreten war: Sanft und hingebend, Vereinigung, 2 Seelen und Mozartkugel. Mein Vater, Wilhelm Traeger (1907—1980), der damals Präsident des Oberösterreichischen Kunstvereins war, notierte damals im Booklet zur Ausstellung neben Castells Namen: „vorgemerkt zur Aufnahme“. 1971 folgten Ausstellungsbeteiligungen in der Galerie in der Passage der Ersten Österreichischen Sparkasse in Wien (Peter Baum eröffnete), im Österreichischen Kunstzentrum Mahlerstraße in Wien und beim Steirischen Herbst in Graz. Im Johannes-Kepler-Jahr 1971 erhielt Castell zudem den Kunstpreis des Forums Stadtpark Graz. Kepler (1571—1630) hatte von 1594 bis 1600 in Graz Mathematik gelehrt und, basierend auf dem kopernikanischen Weltbild, seine kosmologische Theorie erarbeitet.

Castell wurde Mitglied im Oberösterreichischen Kunstverein in Linz, in der Künstlervereinigung „Der Kreis“ in Wien, bei deren Jahresausstellungen er mehrmals im Künstlerhaus in Wien vertreten war, im Kunstverein Salzburg, im Kunstverein Coburg sowie im Künstlerzentrum Schloss Parz bei Grieskirchen in Oberösterreich, dem er nach eigenen Aussagen am Beginn seiner Künstlerkarriere sehr viel verdankte. Die Betreiber des Parzer Künstlerzentrums, das Künstlerpaar Hans Hoffmann-Ybbs, geboren 1928 in Ybbs, gestorben 2005 in Parz, und Charlotte (Lotte) Buck, geboren 1908 in Potsdam, gestorben 2006 in Parz, lernte Castell durch puren Zufall kennen: Ein Dekorateurkollege machte ihn mit Hoffmann-Ybbs in Wels bekannt. Hans Hoffmann hatte auf Anraten von Wolfgang Gurlitt zwecks Unverwechselbarkeit seinen Geburtsort in seinen Namen aufgenommen. Die Chemie zwischen den beiden Künstlern stimmte von Anfang an, und ihre Freundschaft hielt bis zu Hoffmann-Ybbs’ Tod.

Im Jahr 1962, kurz bevor Castell nach Wien zog, hatten Hoffmann-Ybbs und Lotte Buck zusammen mit Gleichgesinnten begonnen, das halbverfallene Wasserschloss Parz wieder instand zu setzen. Es war im Zweiten Weltkrieg von Soldaten genutzt worden und seit 1946 leer gestanden. Ursprünglich hatte Hoffmann-Ybbs nur ein neues Atelier für sich gesucht. Als ihm die kunstsinnige Schlossbesitzerin, Gräfin Antoinette Salm-Reifferscheidt (1908—1962), die kurz nach der Unterzeichnung des Mietvertrages mit ihren beiden Kindern bei einem Autounfall starb, das ganze Wasserschloss zur Nutzung anbot, erkannte er das große Potenzial der weitläufigen, halbverfallenen Schlossanlage und entwickelte sein visionäres, damals in Oberösterreich gänzlich neues Nutzungskonzept aus Ateliers sowie Wohn- und Ausstellungsmöglichkeiten. Als Gegenleistung für tatkräftige Mithilfe beim Renovieren des Wasserschlosses konnten die Künstler in Parz wohnen, arbeiten und ausstellen.

Bereits 1963 bezogen Hoffmann-Ybbs und Buck ihre Atelierwohnung im Wasserschloss (1974 übersiedelten sie ins Landschloss), und im Herbst 1964, von 31. Oktober bis 30. November, zeigten sie die erste Ausstellung in Parz. Vertreten waren Hoffmann-Ybbs und Buck selbst, Erich Buchegger, Hermann Schweigl, Siegfried Strasser, Gerhard Weigl, Will Frenken, Fritz Fröhlich, Hannes Haslecker, Walter Ritter, Josef Schagerl sowie Günther Kraus und Alphonse Ortner als geladene Gäste. Die Eröffnungsreden hielten Otto Wutzel (1918—2013) vom Kulturreferat der oberösterreichischen Landesregierung, Walter Kasten (1902—1984), langjähriger Mitarbeiter von Wolfgang Gurlitt in Berlin und von 1957 bis 1973 Leiter der Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Museum (heute LENTOS), sowie Leopold Gföllner (gestorben 2016), Bürgermeister von Grieskirchen. Insgesamt sahen 550 Besucher die Ausstellung – allein zur Eröffnung kamen über 100 Gäste.

Durch persönlichen Einsatz, private Förderer und öffentliche Subventionen wurde Parz vor dem sicheren Verfall gerettet. Das Künstlerzentrum war nicht nur „eine bemerkenswerte Plattform der Selbstorganisation und Selbstpräsentation“, sondern ein einzigartiger Kunstkosmos in ländlicher Idylle und ein wegweisender „Ort der künstlerischen Begegnung“. (3)  Neben der Neuen Galerie in Linz und der 1965 gegründeten Galerie der Künstlervereinigung MAERZ wurde es zum wichtigsten Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst in Oberösterreich. Die Parzer unterhielten rege Kontakte zu Künstlervereinigungen wie dem Forum Stadtpark, MAERZ, dem Oberösterreichischen Kunstverein, dem „Kreis“ sowie zu Künstlergruppen in Deutschland, Italien und Tschechien. Es gab die verschiedensten Kooperationen wie 1983 mit der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich, die mit einer Ausstellung zu Ankäufen des Landes Niederösterreich in Schloss Parz gastierte, in der auch Castells Lehrer Herbert Boeckl vertreten war.

Bei dem legendären Freundschaftsfußballmatch zwischen dem Künstlerzentrum Schloss Parz und dem Forum Stadtpark Graz, das am 5. Mai 1968 ab zehn Uhr im Schlossareal von Parz ausgetragen wurde, war Castell erstmals in Parz aktiv im Einsatz. Nach seiner Erinnerung stand er anfangs im Tor der Parzer Elf, wurde aber dann ausgetauscht gegen Otto Wutzel, den Leiter der Kulturabteilung des Landes Oberösterreich. Wutzel war auch der Initiator der Hypo-Galerie in Linz, die in den 1970er- und 1980er-Jahren ein wichtiges Forum für aktuelle Kunst bot, in dem Castell 1975 ausstellte.

Im Juli 1968 bei der Ausstellung des Parzer Künstlerzentrums im Kulturhaus der Stadt Graz taucht Castells Name – damals noch als Gastkünstler – erstmals in den Ausstellungslisten der Parzer Künstler auf. Neben den laut der Süd-Ost Tagespost „mehr lyrischen Ölmalereien von Bertram Graf zu Castell-Rüdenhausen“ 4  waren Werke von Eduard Hänggi, Hoffmann-Ybbs, Gotthard Muhr, Josef Schagerl, Siegfried Strasser, Wilhelm Traeger und Gerhard Weigl zu sehen. Brigitte Wagner schrieb in der Neuen Zeit, dass „Bertram Graf zu Castell-Rüdenhausen (Wien)“ in seinen ausgestellten Arbeiten „Vorstellungen, Empfindungen, Bewegungen aus ihrer Gegenständlichkeit eliminiert und in rhythmische Farb- und Formkomplexe umsetzt. Dabei vermeidet er weder den starken Aufeinanderprall der Farben noch aggressive Benachbarung konträrer Formwerte. Bei seinen Deckfarbenblättern vermindert er die Farbskala zugunsten der Polarität von weißer Fläche und ‚Farbformel‘ mit sehr viel mehr Erfolg als bei der Umsetzung dieses Prinzips in Öltechnik.“(5)

Im darauffolgenden Jahr wurde Castell Mitglied im Künstlerzentrum Schloss Parz und war in der Ausstellung Parzer Akzente (9. bis 26. April 1969) in der Galerie auf der Stubenbastei in Wien zusammen mit Hubert Fischlhammer, Hänggi, Hoffmann-Ybbs, Muhr, Schagerl, Traeger und Weigl zu sehen. Kuratiert und eröffnet hatte die Ausstellung Peter Baum, von 1974 bis 2004 Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Museum, später Gründungsdirektor des LENTOS. Baum, dessen internationale Kontakte das Künstlerzentrum Schloss Parz ab den späten 1960er-Jahren nutzte, schrieb in den Oberösterreichischen Nachrichten zur Ausstellungsbeteiligung des jungen Parzers: „Neu hinzugestoßen ist lediglich der junge Wiener Bertram Castell, der sich mit vier sensibel gemalten Bildern vorstellt, die als sehr persönliche Variante einer harmonischen Verbindung abstrakt flächiger mit graphisch-linearen Tendenzen charakterisiert werden können.“ In seinem Artikel präsentierte Baum Castells Arbeit Arktische Melancholie als „ein für die sensible Malart des jungen Künstlers typisches Bild“. (6) In der Wiener Zeitung hingegen war zu lesen: „Bernhard [sic] Castell malt kaltschnäuzige Bilder mit poetischen Titeln.“ (7)

Die Parzer Gruppenausstellungen, die meist als Parz-Kontakte betitelt wurden, zeichnete von Anfang an ein „lockerer Pluralismus der Orientierungen“ (8)  aus. Sie boten „Gegenwartskunst in ihrer ganzen Vielfalt“ (9) und „reichlich Anregung für fruchtbare Konfrontationen“ 10. Die Diversität war immer von hoher Qualität. Es gab „keinen gedrillten Einheitsstil“, „kein Sichfestlegen auf eine bestimmte Richtung“. (11) Malerei, Grafik, Plastik, Architektur, Keramik, Schmuck und Textiles wurden nebeneinander ausgestellt. Parz wurde sogar „als lokale Variante“ mit der Documenta in Kassel und der Biennale in Venedig verglichen (12).

Neben dem „Kern von immer wieder präsenten Künstlerinnen und Künstlern [zu dem Castell gehörte], der aber ständig ergänzt und auch verjüngt wurde“ 13, suchte Hoffmann-Ybbs die „permanente Konfrontation mit den Neuerungen der Kunst“ (14). Zu den Gruppenausstellungen wurden meist Gastkünstler geladen wie Hiromi Akiyama, Wander Bertoni, Dietmar Brehm, Tone Fink, Paul Flora, Greta Freist, Adolf Frohner, Johann Fruhmann, Bruno Gironcoli, Heinz Göbel, Franz Grabmayr, Helmuth Gsöllpointner, Christa Hauer-Fruhmann, Ernst Insam, Birgit Jürgenssen, Cornelius Kolig, Karl Korab, Jürgen Messensee, Maria Moser, Karl Odorizzi, Peter Pongratz, Karl und Uta Prantl, Arnulf Rainer, Alois Riedl, Paul Rotterdam, Hubert Scheibl, Hans Staudacher, Erich Steininger, Franz Zadrazil und Othmar Zechyr, um einige zu nennen. Daneben gab es immer wieder Einzelausstellungen, etwa die großen Personalen 1968 von Cornelius Kolig und von Hans Staudacher, der seine Werke auch über eine Tombola anbot – Grita und Ernst Insam zogen damals den Hauptpreis.

In den 34 Jahren des Bestehens des Künstlerzentrums von 1964 bis 1998 wurden rund 50 Ausstellungen mit über 400 Künstlern und Künstlerinnen realisiert. (15) Abgesehen von einer zehnjährigen Unterbrechung zwischen 1985 und 1994, war Castell über einen Zeitraum von 30 Jahren (1968 bis 1998) in 30 Parzer Gruppenausstellungen vertreten. (16) Castell schätzte an Parz vor allem die anregenden Gespräche und den intellektuellen Austausch mit den Künstlerkollegen. All die Jahre hindurch verband ihn auch eine besondere Freundschaft mit dem Objektkünstler Eduard Hänggi (1907–1996). Die beiden Künstler, die über Jahrzehnte zum inneren Kreis der Parzer gehörten, besuchten sich auch gegenseitig abseits der großen Ausstellungen. Hänggi hatte ein ständiges Atelier in Schloss Parz und bewohnte in Graz eine Villa mit einem verwilderten Garten, in dem seine skurrilen Eisenskulpturen standen. Zu den Mitgliederausstellungen reiste er per Moped von Graz nach Schloss Parz an und beförderte im Anhänger seine Skulpturen. Castell hingegen hatte kein eigenes Atelier in Schloss Parz, reiste aber regelmäßig mit seiner Familie aus Wien an und logierte im Schloss bei Hoffmann-Ybbs und Buck oder in einem Atelier, das nicht ständig bewohnt wurde.

Buck und Hoffmann-Ybbs waren großartige Gastgeber und beständig mit Essen und Kochen beschäftigt. Ihre große Küche im Wasserschloss war wie eine Restaurantküche ausgestattet mit Nudelmaschine, Kochtöpfen, Pfannen und einem großen Herd, in dem sechs Hühner gleichzeitig braten konnten: „Der Künstler als Koch machte Würste selbst und erfand Gerichte.“ (17) Oft tauschte er Kunst gegen Lebensmittel. Die Parzer Ausstellungseröffnungen waren einzigartige Happenings und großartige Künstlerfeste. 

Es gab immer guten Wein, das beste Brot und den besten Speck der Gegend – Hoffmann-Ybbs hatte seine speziellen Quellen. Das inspirierte Cornelius Kolig 1968 dazu, dem Katalog seiner Personale in Schloss Parz, ,Menschodrom‘ und pneumatische Sitzmöbel, eine eingeschweißte Speckscheibe beizulegen. Dies erregte in Castells Erinnerung den Ekel des mit ihm verwandten Kunstsammlers Roland Graf Faber-Castell.

Mit Jahresende 1998 mussten die Parzer die Schlüssel zum Wasserschloss zurückgeben. Der neue Schlossbesitzer hatte andere Pläne. Die Freiflächen und Leerräume in Parz sollten einer profitorientierten Nutzung weichen. Hoffmann-Ybbs und Buck beendeten ihr Lebenswerk mit zwei Finalausstellungen, im September 1998 Permanent Finish I und im Oktober darauf Permanent Finish II; an letzterer nahm auch Castell teil. Nach der Generalsanierung der Schlossanlage blieb vom Künstlerzentrum nur „ein geschriebenes Manifest als Bekenntnis und Begeisterung für einen Ort und eine Gemeinschaft, die seit den 1960er Jahren einen wichtigen Beitrag zur oberösterreichischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts leisten konnte“ (18).

Nach Hoffmann-Ybbs’ und Bucks Tod formierten sich 2008 rund um die beiden Künstler Wolfgang Stifter – mit dem Castell 1972 erstmals in Parz ausgestellt hatte – und Robert Hübner die „neuen“ Parzer. Ohne die Verortung durch Schloss Parz gründeten sie erneut den Verein Künstlerzentrum Schloss Parz, den sie 2012 in Künstlergruppe Parz umbenannten. Bertram Castell wurde wieder Mitglied und nahm an Ausstellungsprojekten im Geiste der legendären Parz-Kontakte teil. Er war vertreten in den neuen Ausstellungen Parz-Kontakte 2009, die im November in der privat geführten Galerie Schloss Parz im Obergeschoß des Wasserschlosses gezeigt wurden; Station eins im Februar 2010 im DOK – NÖ Dokumentationszentrum für Gegenwartskunst in Sankt Pölten; Faunastisch – Hommage an Hoffmann-Ybbs, Oktober 2011 bis Januar 2012, in der Galerie Marschner in Wels (die Galerie betreut auch Hoffmann-Ybbs’ künstlerischen Nachlass); Anstoß, 21. April bis 18. August 2013, im Kunstmuseum Artemons in Hellmonsödt, Oberösterreich; und zuletzt nature brut, 17. März bis 9. April 2017, in der Galerie Schloss Puchheim in Attnang-Puchheim.

Als Künstler arbeitet Bertram Castell viel lieber zurückgezogen am Land als inmitten der städtischen Hektik. Er sucht die Einsamkeit und verzichtet ganz im Sinne von Herbert Boeckls Zitat gerne auf Spektakel. Bereits als Kind hat er seine Liebe zur Natur entdeckt und die Stille des Waldes zu schätzen gelernt. Damals war er oft mit den Großeltern in ihrem Jagdrevier im oberösterreichischen Mühlviertel gewesen. Bis heute ist ihm das Leben am Land, das Sein in der Natur die wichtigste Inspirationsquelle für die künstlerische Arbeit.

Castell nutzte anfangs ein altes Jagdhaus der Coburger in Stifting in der Mühlviertler Ortschaft Königswiesen als Atelier. Doch seit über 30 Jahren hat er sein Arbeitsrefugium in einem herrschaftlichen Holzhackerhaus in dem idyllisch gelegenen Wurzeben im niederösterreichischen Waldviertel. Wurzeben, das schon im 18. Jahrhundert als Holzhackersiedlung für die Schwemme auf der kleinen Ysper angelegt wurde, liegt auf 1.000 Meter Höhe an einer ebenen Lichtung im Weinsberger Wald nahe dem Pfaffenstegteich. Das Haus mit den vielen Nebengebäuden bietet Castell ausreichend Raum zur künstlerischen Entfaltung. Er kann im Kuhstall, im Pferdestall, im Schweinestall, in der Scheune und auf der Wiese nach Lust und Laune schweißen, hämmern, malen oder zeichnen.

Zeitlebens hat sich Castell an den großen Malern der klassischen Moderne wie Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka und den abstrakt malenden Franzosen orientiert, aber immer ganz anders als seine Vorbilder gearbeitet. Auch die Surrealisten interessierten ihn, und man kann ihren Einfluss als surrealistische Momente in seinen frühen Arbeiten durchaus spüren. Als Künstler ist Castell stets seinen eigenen Weg gegangen, ohne auf modische Tendenzen des Kunstmarktes zu achten. Er sagt selbst: „Man kann nur das machen, was man in sich hat.“

Castell, der immer ein guter Akt- und Porträtzeichner gewesen ist, hat seit über 30 Jahren nicht mehr gegenständlich gemalt. Anfangs hatte er Zweifel gehabt, abstrakt zu arbeiten. Gleichzeitig fühlte er sich von abstrakter Malerei stets angezogen. Als er an der Akademie seinem Lehrer Herbert Boeckl sein erstes abstraktes Bild gezeigt hat, ermutigte dieser ihn zwar, so weiterzumachen, aber erst Jahre später entwickelte Castell einen immer freieren Pinselduktus. Auch die Kollegen und die Diskussionen im Künstlerzentrum Schloss Parz bestärkten ihn, den Weg weiterzugehen. Über die Jahre hat sich Castell sozusagen frei gemalt, hat einen vitalen Pinselduktus voll Frische und zeichnerischem Gestus entwickelt.

An seiner Waldviertler Einschicht liebt er die Ruhe und genießt es, frühmorgens um fünf Uhr aufzustehen. Die dämmrige Stunde, wenn der Tag anbricht und die Nacht zur Geschichte wird, ist ihm die liebste Zeit des Tages. Er sitzt dann alleine an seinem Arbeitstisch – die Katze liegt schnurrend auf seinem Schoß – und zündet sich die erste Zigarette des Tages an, bevor er sein künstlerisches Tagwerk beginnt. Das Land, die Natur ist seine nie versiegende Inspirationsquelle. Er liebt den Wald, die Stämme der Bäume, die Blätter und Äste. Er beobachtet das Licht, das sich konstant verändert, nimmt die wechselnden Farben, Strukturen und Muster wahr, lauscht der „Musik des Waldes“ (Castell) und sammelt Zweige für seine Assemblagen. Castells Sinne sind wachsam und geschärft und saugen alles in sich auf. Die Natur ist lebendige Verände-rung – in jeder Sekunde. Alles unterliegt dem ständigen Rhythmus von Entstehen und Vergehen.

Die tief empfundenen, intensiven Eindrücke fließen in der einsamen Stille seines Ateliers in seine Malereien und Skulpturen. Sie drängen aus ihm heraus – unmittelbar und spontan. Seine Bildoberflächen erinnern durchaus an die gestischen Malereien von Pierre Alechinsky oder Hans Staudacher und sind doch voll individueller Eigenständigkeit. Kunst ist „die anspruchsvollste und letztlich auch fundierteste Form geistiger Standortbestimmung“.19 Sie erfordert Stellungnahme und ist eine Form, die Welt zu interpretieren. Castells Kunst operiert im Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung. Sie ist gegenstandslos, lyrisch-abstrakt, impulsiv-expressiv – informell. In der informellen Kunst sieht auch Castell selbst seine künstlerische Verortung.

Nach eigener Aussage fühlt sich Bertram Castell als Künstler in ständiger Entwicklung. Immer wieder ändert er seine Techniken und Medien, mal entstehen große Tuschblätter, mal arbeitet er mit Holz, das ihm das Waldviertel reichlich bietet. Immer sind seine Arbeiten auch materialabhängig und ein „Kampf mit der Materie“, wie er sagt. Zufriedenheit empfindet er nur während des eigentlichen Arbeitsprozesses, danach breitet sich seine Unzufriedenheit wieder aus. Sie ist der Motor, der ihn ständig weitertreibt.

Verena Traeger, 2017

1  Bertram Castell im Gespräch mit der Autorin am 24. Mai 2017 in Wien. Auch alle weiteren Zitate des Künstlers stammen aus dieser Konversation.
2  Helmut Berger, „Gegenwartskunst in ihrer ganzen Vielfalt“, in: Welser Zeitung, Nr. 39, 20. September 1972, S.6.
3  Michaela Nagl, Martin Hochleitner, „Vorwort“, in: Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Direktion Kultur (Hg.), Feste und Manifeste. Das Künstlerzentrum Schloss Parz 1964 bis 1998, Weitra: Bibliothek der Provinz, 2010, S. 7 (erschienen anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von 1. Mai bis 22. Juli 2010 in der Galerie Schloss Parz im Rahmen der oberösterreichischen Landesausstellung 2010 Renaissance und Reformation in Schloss Parz).

4  O. V., „Ausstellungen in Graz. Parzer Gruppe im Kulturhaus“, in: Süd-Ost Tagespost, 2. Juli 1968.

5  Brigitte Wagner, „Aktuelles aus altem Schloßgemäuer. Die Künstlergruppe Schloß Parz präsentiert sich im Grazer Kulturhaus“, in: Neue Zeit, 4. Juli 1968.

6  Peter Baum, „Acht Visitenkarten aus Parz in Wien abgegeben. Zur großen Ausstellung der oberösterreichischen Künstlergruppe in der Galerie auf der Stubenbastei“, in: Oberösterreichische Nachrichten/„Kultur und Politik“, 15. April 1969, S. 8.

7  Maria Buchsbaum, „Wiener Ausstellungen“, in: Wiener Zeitung, 13. April 1969.

8  Michaela Nagl, „Parz 1 als Künstlerzentrum“, in: Feste und Manifeste. Das Künstlerzentrum Schloss Parz 1964 bis 1998, a. a. O. (s. Anm. 3), S. 23–95, hier: S. 32.

9  Berger, a. a. O. (s. Anm. 2).

10  Nagl, „Parz 1 als Künstlerzentrum“, a. a. O. (s. Anm. 8), S. 53.

11  Günter Rombold, zit. n. Nagl, „Parz 1 als Künstlerzentrum“, a. a. O. (s. Anm. 8), S. 38.

12  Vgl. ebd., S. 53 f.

13  Ebd., S. 92.

14  Ebd., S. 77.

15  Vgl. Martin Hochleitner, „Das Fest im Manifest – Wesen und Selbstverständnis des Künstlerzentrums Schloss Parz 1964 bis 1998. Eine Einleitung“, in: Feste und Manifeste. Das Künstlerzentrum Schloss Parz 1964 bis 1998, a. a. O. (s. Anm. 3), S. 9–22, hier: S. 9.

16  Vgl. „Ausstellungen 1964–1998“, in: Feste und Manifeste. Das Künstlerzentrum Schloss Parz 1964 bis 1998, a. a. O. 

(s. Anm. 3), S. 110–141.

17  Elisabeth Vera Rathenböck, „Ein Künstler der Sinne. Gäste erinnern sich an ihren Gastgeber Hans Hoffmann-Ybbs“, in: Feste und Manifeste. Das Künstlerzentrum Schloss Parz 1964 bis 1998, a. a. O. (s. Anm. 3), S. 95–106, hier: S. 105.

18  Hochleitner, „Das Fest im Manifest“, a. a. O. (s. Anm. 15), S. 13.

19  Peter Baum, zit. n. Nagl, „Parz 1 als Künstlerzentrum“, a. a. O. (s. Anm. 8), S. 65.